Frank Kaiser war im Einsatz als Helfer im Ahrtal 2021

Mein Einsatz als Helfer im Ahrtal 2021 – eine Geschichte von Hoffnung und Zusammenhalt

Nass bis auf die Haut und bis zum Hals mit Schlamm beschmiert stand ich am Ufer der Ahr. Die körperliche Anstrengung war deutlich zu spüren. Doch ein Gefühl tiefster Zufriedenheit entschädigte für alle Mühen. Damals wusste ich noch nicht, welch unglaubliches Wunder ich als Helfer im Ahrtal hautnah erleben durfte. In diesem Blogbeitrag schildere ich meine unvergesslichen Erlebnisse vom ersten Hilfseinsatz.

Wenige Wochen zuvor war das Unfassbare geschehen. Aufgrund einer ungewöhnlichen Wetterlage kam es in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu sintflutartigen Regenfällen. In der Folge führten zahlreiche Flüsse und Bäche enormes Hochwasser. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 kam es dann in mehreren Regionen zu verheerenden Überschwemmungen. Insbesondere entlang der Ahr forderten die Flutwellen zahlreiche Todesopfer und verursachten beispiellose Zerstörungen an Infrastruktur und Landschaft.

Übersicht

Wie ich von der Flutkatastrophe erfahren habe

Die Fernsehsender zeigten schreckliche Bilder aus den Katastrophengebieten. Schnell wurde mir klar, dass Deutschland die größten Zerstörungen der Nachkriegszeit erlitten hatte und die notleidenden Menschen dringend Hilfe brauchten. Dann sah ich im Fernsehen eine Sondersendung über die Ereignisse nach der Flutkatastrophe. Ein Männerchor sang auf der Straße und junge Menschen räumten fröhlich den Schlamm aus ihrem schwer beschädigten Haus.

Ich war irritiert von dieser Berichterstattung und suchte im Internet nach alternativen Informationen. Dabei stieß ich auf Markus Wipperfürth, einen engagierten Landwirt aus Puhlheim, der unmittelbar nach der Flutkatastrophe ins Ahrtal kam, um zu helfen. Mit seinen Live-Videos in den sozialen Medien machte er immer wieder auf die schwierige Situation vor Ort aufmerksam und rief zur Unterstützung der notleidenden Menschen auf.

Herz und Verstand waren zunächst uneins

Einerseits wollte ich am liebsten sofort ins Ahrtal fahren und bei den Aufräumarbeiten helfen, andererseits war ich als Selbstständiger in einer schwierigen Situation. Schließlich konnte ich weder bezahlten Urlaub nehmen noch meine Arbeit von anderen erledigen lassen. Zudem wurde immer wieder auf die drohende Infektions- und Unfallgefahr hingewiesen, so dass ein längerer Arbeitsausfall meine wirtschaftliche Existenz gefährden könnte.

Da ich ahnte, dass der Wiederaufbau des Ahrtals viele Jahre dauern würde, traf ich zunächst eine vernünftige Entscheidung und verschob meinen Hilfseinsatz. In der Zwischenzeit informierte ich mich regelmäßig bei Markus Wipperfürth und das hatte Folgen. Je mehr ich über die Situation im Ahrtal erfuhr, desto größer wurde mein Bedürfnis, den Menschen zu helfen.

Die Initialzündung für meinen Hilfseinsatz

Sechs Wochen sind seit der Flutkatastrophe vergangen. Wieder erreichte mich eine Videobotschaft von Markus Wipperfürth. Darin bittet er um Mithilfe bei einer groß angelegten Aufräumaktion entlang der Ahr zwischen Heimersheim und Ehlingen. Ziel sei es, gemeinsam mit dem K.R.A.K.E. (Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit) e. V. den angeschwemmten Unrat in den Ahrauen zu beseitigen.

Mir gefiel die geplante Aktion, weil sie sowohl den Menschen helfen als auch die Umwelt schützen würde. So hörte ich schließlich auf die Stimme meines Herzens und beschloss, mich der Gruppe anzuschließen.

Flutschäden an der Autobahn 571 bei HeimersheimFlutschäden an der Autobahn 571 bei Heimersheim

Das Hochwasser im Ahrtal verursachte erhebliche Schäden an der Autobahn 571 bei Heimersheim.

Mein erster Einsatz als Helfer im Ahrtal

Es war der letzte Tag im August 2021, ein kühler, verregneter Sonntag, der seinem Namen keine Ehre machte. Um 6 Uhr morgens erlöste mich der Wecker von einer unruhigen Nacht mit wenig erholsamem Schlaf. Zu sehr kreisten die Gedanken um den geplanten Hilfseinsatz. Nach der Morgenroutine packte ich ein paar Sachen und etwas Proviant in meinen Rucksack. Dann fuhr ich mit dem Auto zum Helfer-Shuttle nach Grafschaft-Ringen, von wo aus die Hilfseinsätze koordiniert wurden.

Während der Fahrt gingen mir wieder meine Gedanken durch den Kopf. Ich dachte daran, dass ich allein auf dem Weg in ein Katastrophengebiet war, in eine unbekannte Umgebung mit hunderten fremden Menschen. Was würde mich dort erwarten? Trotz einiger Zweifel vertraute ich meinem Bauchgefühl, das mir sagte, dass ich das Richtige tun würde. Und so fuhr ich entschlossen Kilometer um Kilometer ins Ungewisse.

Parkfläche vor dem Helfer-Shuttle in Grafschaft-Ringen

Zahlreiche Helfer waren bereits beim Helfer-Shuttle eingetroffen.

Ankunft beim Helfer-Shuttle in Grafschaft-Ringen

Nach einer zweistündigen Autofahrt erreichte ich das Helfer-Shuttle. Im Basislager tummelten sich bereits viele Frauen und Männer jeden Alters. Sie waren von überall her angereist, aber nicht alle, um die Ahrauen zu säubern, sondern auch, um in den beschädigten Häusern Putz und Estrich abzuschlagen. Um mehr über den Ablauf der geplanten Aufräumaktion zu erfahren, ging ich zuerst zum Infostand. Danach machte ich einen Rundgang durch das Basislager und lieh mir im Ausrüstungszelt Sicherheitsstiefel und Schutzhandschuhe aus.

Kurz darauf ertönte die fröhliche Stimme von Thomas Pütz aus dem Lautsprecher. Thomas ist einer der Mitbegründer des Helfer-Shuttles. Er gab eine ausführliche Einweisung in den Ablauf der Aufräumaktion. Danach stieg ich mit anderen Helfern in einen der bereitgestellten Gelenkbusse. Auf der Fahrt ins Einsatzgebiet sah ich unvorstellbare Schäden an Gebäuden, Fahrzeugen, Straßen und der Eisenbahn. Ich hatte schon viele Fotos und Videos von den Zerstörungen gesehen, aber kein Medium konnte das Ausmaß realistisch darstellen. Ich war ergriffen von der Naturgewalt und dachte an die vielen Menschen, die so schwer getroffen wurden. Inzwischen waren wir im Einsatzgebiet angekommen.

Das Ahrufer bei Heimersheim nach der Flutkatastrophe

Die Aufräumarbeiten erstreckten sich weit entlang des rechten Ahrufers

Gefährliche Aufräumarbeiten in meterhohen Anschwemmungen

Unsere Aufgabe bestand darin, möglichst viel Unrat aus dem Schwemmgut zu bergen und entlang eines Zufahrtsweges aufzutürmen, um es später mit landwirtschaftlichen Maschinen abtransportieren zu können. Schließlich sollten Raupenbagger das angeschwemmte Treibholz auseinanderziehen, damit es von Fachleuten zersägt und gehäckselt werden konnte. Soweit der Plan - doch was uns dann erwartete, damit hatte niemand gerechnet.

Die Flutwellen hatten riesige Bäume entwurzelt und zusammen mit geborstenem Bauholz, Hausrat der Ahrtalbewohner und großen Mengen Müll meterhoch verkeilt. Eine Gefahr für die Umwelt stellten die allgegenwärtigen Plastikteile dar. Von kleinen Flaschenverschlüssen über Mülltonnen bis hin zu IBC-Tanks waren sie in allen Formen und Größen vorhanden. Hinzu kamen teilweise gefüllte Behälter für Chemikalien, Farben und Öle sowie Autoreifen und diverse Elektrogeräte. All diese menschlichen Errungenschaften konnten der Kraft des Wassers nicht standhalten und wurden von den Flutwellen mitgerissen. Hinweise auf leblose Körper gab es glücklicherweise nicht.

Anschwemmungen mit entwurzelten Bäumen an der AhrAnschwemmungen an der Ahr bargen hohes Verletzungsrisiko

Die entwurzelten Bäume waren meterhoch ineinander verkeilt und stellten eine große Verletzungsgefahr dar.

Mit vereinten Kräften Großes bewegt

Zuerst sammelten wir den losen Müll in Säcken ein. Es dauerte nicht lange, bis viele volle Müllsäcke auf dem Zufahrtsweg lagen. Für den Schwemmmüll war jedoch eine andere Vorgehensweise nötig. Wie die Ameisen bildeten wir spontan kleine Helfertrupps. Während die einen auf die hohen Anschwemmungen kletterten und den Unrat mühsam herauszogen, trugen die anderen Helfer die Fundstücke zum Zufahrtsweg. Immer wieder wurden große Gegenstände gefunden, die tief im Geschiebe steckten. Wenn jemand Hilfe bei der Bergung brauchte, taten sich spontan mehrere Helfer zusammen und packten gemeinsam an. Mit vereinten Kräften konnten auch größere Fundstücke von Hand geborgen werden. Schritt für Schritt arbeiteten sich die Helfergruppen so durch die Auenlandschaft.

Zerstörte Fußgängerbrücke über dem Mühlenteich bei Heimersheim

Die zerstörte Fußgängerbrücke über dem Mühlenteich

Erschaudern in 6 Metern über der Ahr

Zur Mittagszeit erreichte ich ein Waldstück in der Nähe der Autobahn 571 bei Ehlingen. Im dichten Gebüsch war bereits ein kleiner Trupp von Helfern dabei, haufenweise Glasflaschen aus einer großen Anschwemmung zu bergen. Ich schloss mich diesem Trupp an und trug die Flaschen in herumliegenden Getränkekisten zur Zufahrtsstraße. Durch das Waldstück zog sich ein bewachsener Erdwall, vermutlich ein alter Schutzdamm, dessen aufgeweichter Boden rutschig wie Schmierseife war. Ein Helfer kämpfte sich den Erdwall hinauf, um zu sehen, was sich auf der anderen Seite befand. Kaum war er oben angekommen rief er: „Ich brauche hier oben Verstärkung!“

Als auch ich oben auf dem Erdwall ankam, staunte ich nicht schlecht. Wohin ich auch schaute, überall lagen leere Getränkekisten herum, es waren Hunderte. Die Getränkekisten hingen zum Teil deformiert im dichten Geäst oder steckten knöcheltief im Schlamm. Irgendwie sah das Waldstück aus, als hätten Kinder von Riesen nach dem Spielen ihre Legosteine zurückgelassen. Getränkekisten dominierten, aber auch Mülltonnen und andere Plastikgegenstände waren unter den Fundstücken. Plötzlich wurde mir klar, dass ich mich schätzungsweise 6 Meter über dem Flussbett der Ahr befand. Wie gewaltig müssen die Flutwellen gewesen sein, die über den Damm geschossen waren und dort den Unrat abgelagert hatten.

Menschenkette für effiziente Bergungsarbeiten

Die dichte Vegetation und die knöcheltiefe Schlammschicht im Wald entlang des Dammes erschwerten die Bergung der Getränkekisten enorm. Der zähe Schlamm haftete schwer an den Stiefeln und ich musste aufpassen, dass ich beim nächsten Schritt nicht der Länge nach auf dem Waldboden landete. Jedes Mal, wenn wir einen großen Haufen Getränkekisten gesammelt hatten, mussten diese über weite Strecken aus dem Wald getragen werden. Dazu bildeten wir mit anderen Helfern eine Menschenkette und warfen uns die Kästen im hohen Bogen zu. In kräftezehrender Handarbeit stapelten wir etliche Kisten auf dem Zufahrtsweg unterhalb des Erdwalls. Weitaus mehr Getränkekisten legten wir am Rande der nahegelegenen Autobahn ab, die wegen der starken Beschädigungen für den Verkehr gesperrt war.

Aufräumaktion in den Ahrauen bei Heimersheim

Eine kleine Auswahl des angehäuften Unrats am Zufahrtsweg

Ein unerwartetes Treffen

Inzwischen war es 17:50 Uhr, als ich beim Helfer-Shuttle aus dem Bus stieg. Im Basislager herrschte bereits reges Treiben. Viele Helfer waren schon vor mir von ihren Einsätzen zurückgekehrt und die meisten waren genauso dreckig und nass wie ich. Ich fröstelte in meiner nassen Arbeitskleidung, also ging ich zum Auto und zog mir auf dem Parkplatz trockene Ersatzkleidung an. Dann ging ich zurück zum Basislager, gab die geliehenen Sicherheitsstiefel zurück und aß das leckere Abendessen, das für die Helfer im Ahrtal vorbereitet worden war.

Durch Zufall sah ich unter den vielen Menschen Markus Wipperfürth. Ich habe mich sehr über diese Begegnung gefreut, denn er war es, der mich mit seinem großen Engagement zu meinem ehrenamtlichen Engagement im Ahrtal inspiriert hat. Umso mehr wünschte ich mir ein gemeinsames Erinnerungsfoto.

Markus Wipperfürth und Frank Kaiser beim Helfer-Shuttle

Markus Wipperfürth und Frank Kaiser beim Helfer-Shuttle

Legendäre Abendandacht für die Helfer im Ahrtal

Zum Abschluss der Aufräumaktion hielt Thomas Pütz vom Helfer-Shuttle eine seiner legendären Abendandachten, in der er über die Ereignisse des Tages berichtete. Es stellte sich heraus, dass insgesamt 230 Frauen und Männer an der Aufräumaktion in den Ahrauen teilgenommen hatten. Tonnenweise wurde umweltschädlicher Unrat aus der Landschaft geborgen. Obwohl schon während der Aktion mehrere Containerladungen zur Deponie gefahren wurden, konnte der Unrat noch nicht vollständig abtransportiert werden. Mit solchen Mengen hatte niemand gerechnet, umso erfreulicher war es, dass trotz der vielen Gefahren niemand zu Schaden kam. Ein Video der »Abendandacht« (ab Minute 13) wurde von Markus Wipperfürth auf YouTube bereitgestellt.

Nach der Abendandacht fuhr ich noch zwei Stunden nach Hause. Erst um 22 Uhr schloss ich die Haustür hinter mir ab. Damit war mein erster Einsatz als Helfer im Ahrtal beendet. Bevor ich unter die Dusche verschwand, erzählte ich meiner Frau noch kurz von meinen Erlebnissen. Wenig später schlüpfte ich müde unter die Bettdecke. Da ahnte ich schon, dass ich diesmal tief schlafen würde. Am nächsten Morgen begann ich, das Erlebte zu verarbeiten. Dabei wurde mir bewusst, welch unglaubliches Wunder ich im Ahrtal hautnah erleben durfte.

Das Wunder im Ahrtal

Ich kam mit Bewohnern des Ahrtals ins Gespräch und sie erzählten mir, wie sie die Hochwassernacht erlebt hatten. Ihre Schilderungen ließen schreckliche Bilder in meinem Kopf entstehen. Eines war klar: Die Flutkatastrophe hat großes Leid über die betroffenen Menschen gebracht. In einer solchen Situation Zuversicht und Lebensmut zu bewahren, schien für viele Betroffene unmöglich. Doch dann geschah das Unglaubliche.

Nach den Wassermassen kam wie aus dem Nichts eine Welle der Solidarität. Immer mehr Unternehmen und Privatpersonen kamen aus ganz Deutschland und dem Ausland, um den Menschen in den Hochwassergebieten zu helfen. Sie brachten ihre teuren Maschinen und Werkzeuge mit und stellten sie kostenlos zur Verfügung. Viele davon waren wochenlang im Einsatz und zeigten bereits deutliche Abnutzungserscheinungen. Von Neid und Missgunst, die in unserer Gesellschaft weit verbreitet sind, war nichts mehr zu spüren. Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, woher man kam, welcher Religion man angehörte oder welchen sozialen Status man hatte. Frauen und Männer jeden Alters arbeiteten längst Hand in Hand, während die staatliche Hilfe nur schleppend anlief.

Was für die Menschen zählte, waren Nächstenliebe und Zusammenhalt. Helfer und Betroffene einte stets ein Ziel: Sie gaben ihr Bestes, damit das Ahrtal schnell wieder aufblühen konnte. Neben vielen privaten Geld- und Sachspenden spendeten viele tausend Menschen bereitwillig etwas von ihrem wertvollsten Besitz: LEBENSZEIT.

Für mich war das nicht der einzige Freiwilligeneinsatz als Helfer im Ahrtal. Was ich sonst noch erlebt habe, erfährst du in meinem Folgebeitrag.

Folgebeitrag hierzu:

Lebe naturnah – lebe glücklich.
Frank Kaiser

Weblinks

2024-03-05T10:55:56+01:00

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